One moment in time auf Teneriffa

Oder: Die schöne Ente der Kanaren.

Jede Destination ist das, was man selbst daraus macht. Auch ein Ort wie Malle oder Ibiza. Oder eben Teneriffa. Ich versuche, mich daran zu erinnern, als ich im zwei Stunden verspäteten Ferienflieger mit jeder Menge 60+ Reisender sitze und mir anhöre, welche Kreuzfahrt wer ab Teneriffa macht oder in welcher Bettenburg an der Südwestküste der Insel wer für den Pauschalurlaub unterkommen wird. O Mann! Ob das eine gute Entscheidung war, nach Teneriffa zu fliegen? Ich soll es bald herausfinden. Und mächtig überrascht sein.

Von Kopf bis Herz

Wer Teneriffa mal auf der Landkarte anschaut, bemerkt es sofort: Die Insel hat die perfekte Form einer Ente. Oben am Kopf und Schnabel gibt es das Anaga-Gebirge mit einem Lorbeerwald, am Bürzel die wilde Masca-Schlucht mit selbst für geübte Autofahrer furchteinflößenden Serpentinen und dem gefühlten Ende der Welt in Los Silos, einem Dorf vor dem tosenden Atlantik.

Und genau unterm Bürzel, an der Südwestküste, sitzen die Touristenmassen in ihren All-inclusive-Tempeln, ebenso wie am Fuß der Ente. Im Herzen der Insel pocht Spaniens größter Berg, El Teide, der drittgrößte Inselvulkan der Erde mit 3718 Metern und UNESCO Weltnaturerbe. Er teilt Teneriffa in zwei Klimazonen, den kargen und wärmeren Süden und den grüneren, aber auch feuchteren Norden. Diese Jekyll & Hyde der Insel treffen auf der Südseite am Puerto de Erjos auf 1117 Metern aufeinander, einem der wichtigsten Pässe, wo man manches Mal aus den nördlichen Wolken kommend in den schönsten Sonnenschein im Süden hineinfährt.

Ich schnappe mir einen Mietwagen, düse über die Inselautobahn und beginne meine Reise dort, wo fast keiner ist – am Hinterkopf der Ente, unweit von Tejina direkt am Meer. Wer die Autobahn an der Ostküste verlässt, die Hauptstadt Santa Cruz und bald den Flughafen Nord im Rückspiegel sieht, hat wenig später das wilde, unverdorbene Teneriffa zu Füßen. Hinter einer durstigen Hügellandschaft, gespickt mit einigen wenigen Häusern oder Gemeinden, eröffnet sich der Blick auf den Atlantik.

Eine enge, kurvenreiche Straße führt tief nach unten. Ich bete, dass mir niemand entgegenkommt, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wohin man bei zwei hohen Mauern rechts und links ausweichen soll. Mein Gebet wird erhört. Nach Tejina, direkt an der Küste, sehe ich sie schließlich. Eine Oase der Ruhe, in Form eines Landhauses, mit kleinem Infinity Pool über dem tosenden Ozean. Das Hotel Rural Costa Salada.

Einmal im Jahr, für einen Tag, gönne ich mir so etwas. Dieses Mal den Luxus einer eigenen kleinen Terrasse mit nächstem Stopp offenes Meer, das meinen Blick füllt, während mich das Jacuzzi massiert. Rede ich sonst liebend gern mit Menschen und gehe sofort auf Tuchfühlung mit einem neuen Ort, schenke ich mir hier einen Tag des Nichtstuns und Nichtredens. Genieße die leichte Brise auf dem Gesicht und das Licht, das von gellend gelb zu kerzenweich orange wechselt, bis der Sonnenball im Meer abtaucht und Blautöne den Himmel ganz für sich gewinnen.

Selbst nach Jahren voller Reisen rund um die Welt, mit Sonnenuntergängen zwischen Pazifik, karibischem Meer, Atlantik und dem japanischen Meer, erscheint mir kein Sonnenuntergang wie der andere. Erscheint mir kein Sonnenuntergang überbewertet und keine Sekunde des Starrens in Richtung Horizont verschwendet. Ich könnte mir kein sanfteres, leiseres Ankommen vorstellen als meinen ersten Abend auf Teneriffa. Auf einer Insel des Massentourismus.

Den vielen Farbpaletten der sinkenden Sonne folgen am nächsten Morgen noch mehr Facetten von Teneriffas Natur. Wer von der Küste über die malerischste Inselstraße, TF24, ins Herz der Insel fährt, in Richtung des Teide Nationalparks, erlebt innerhalb weniger Stunden Landschaften von Kiefernwäldern über mondähnliche Steinschluchten bis zum großen Gipfel vulkanischen Gesteins und schwefelhaltiger Felsen.

Es ist, als ließe man ein Meer aus Grün unter sich zurück, um mitten in die Steinwüste hineinzufahren. Von lebensfrohem Ambiente in ein lebensfeindliches. Und doch inspirieren mich die ‚Miradores‘, Aussichtspunkte, im Nichts noch öfter zum Aussteigen als auf der gemütlichen Waldstraße zuvor. Ich lasse Straße und Auto hinter mir und laufe über feine Kieselsteine auf rötliche Felsmassen zu. Dann die Überraschung: Als ich einen der Steine vom Boden aufhebe, wiegt er kaum schwerer in meiner Hand als eine Feder. Auf der anderen, dem Meer zugewandten Straßenseite, liegen Steine und Felsbrocken wild über den rauen Boden verteilt, als hätte ein tollwütiger Riese sie soeben vom Teide geschleudert, um die herumwuselnden Touristen von seinem Heiligtum fernzuhalten. Wäre ich er, hätte ich dasselbe gemacht.

Die Spitze des Teide erhebt sich in weiter Ferne aus dem Massiv. „Wie eine Brustwarze“, höre ich einen jungen Mann scherzen. Die ganz Aktiven können den Gipfel in vielen Stunden erwandern, wer – wie ich an diesem Tag – eher chillig drauf ist, nimmt die Seilbahn, die Besucher im wahrsten Sinne des Wortes wie Sardinen in der Büchse in wenigen Minuten auf gut 3500 Meter befördert. Um den Gipfel die letzten 200 Meter zu Fuß zu erklettern, braucht man eine Genehmigung, die mindestens drei Monate vorher online beantragt werden sollte. Ich war leider zu spät dran. Eine andere Möglichkeit ist es, eine Nacht im Refugio, einer Herberge, auf halber Strecke zu verbringen und morgens pünktlich zum Sonnenaufgang die Vulkanspitze zu erobern. Nächstes Mal.

Auf dem Dach Spaniens

An diesem Tag reicht es mir, die Wege ab der Seilbahnstation zu erkunden. Schon nach wenigen Metern merke ich, dass das Atmen schwerer wird und sich mein Kopf komisch leicht anfühlt. Irgendwie so, als wären überflüssige Gedanken auf dem Weg nach oben rausgepurzelt. Manch anderer klagt über Kopfschmerzen. Ich fühle mich an die Höhenkrankheit in den Anden in Peru erinnert, als Luft in den Lungen plötzlich von einer Selbstverständlichkeit zum kostbaren Gut wurde, um das man ständig ringen musste. Aber wer die schönste Aussicht will, muss leiden. Der Tag ist postkartenklar, nur im Nordosten bedeckt eine weiße Wolkenschicht sanft das Land. Hier oben scheint sie so weit entfernt, als würde ich sie aus Flughöhe betrachten. An mancher Stelle steigt ein wenig Rauch aus dem helleren, zum Teil grünlichen Gestein auf, es stinkt nach faulen Eiern. Dann wieder rollen die Bergketten rötlich-braun auf den Horizont zu, lassen mich an den Grand Canyon in den USA denken. Vulkanlandschaften sind mir schon immer unwirklich erschienen, als säße ich vor der 3D Leinwand in einem Science Fiction Film. Nur das schwere Atmen und der hohle Kopf erinnern mich an die Wirklichkeit. In weiter Ferne stechen ein paar Hügel aus dem Meer – La Gomera auf der West- und Gran Canaria auf der Südostseite.

Oben auf dem Gipfel des Teide gibt es außer einem Getränke- und einem Snackautomaten sowie einem Informationstresen nichts. „Das hier ist alles Nationalpark und steht unter strengem Schutz“, erklärt mir der freundliche Mitarbeiter, „deswegen dürfen jeden Tag auch nur etwa 200 Personen auf den Gipfel laufen. Sonst würde alles kaputtgetrampelt.“ Er fährt fort, dass er schon einige Male hier oben übernachtet und jedes Mal ganz komische Geräusche gehört habe. „Vielleicht die Geister der Verstorbenen“, scherzt er, denn erst vor Kurzem sei ein inselbekannter Jogger auf dem Teide bei Eis und Schnee in einen Abgrund gestürzt und dort erfroren. „Auch deutsche Touristen laufen oft abseits der Pfade, verletzen sich und müssen dann gerettet werden!“ Am imposantesten sei es, den Sonnenauf- und untergang vom Teide zu sein, denn der werfe dann einen riesig langen Schatten bis ins Meer. Jeden Freitagabend werde eine Fahrt mit der Gondel auf den Gipfel zu Sonnenuntergang organisiert mit anschließendem Mahl und Sternegucken. Meine Liste, was ich beim nächsten Mal auf Teneriffa machen möchte, wird länger. Und das, obwohl dieser romantische Abend mit gut 120€ ins Portemonnaie schlägt.

Gratis bekomme ich eine traumhafte Rückfahrt ins Tal. Es passiert mir immer wieder auf Reisen: Die allerschönsten Momente gibt es vollkommen unerwartet an einem beliebigen Ort, während ich gerade mit etwas anderem beschäftigt bin. Auf Teneriffa passiert es hinter einer Kurve, als ich soeben mit Schweißperlen auf der Stirn in meinem Mini-Mietwagen einigen Touristenbussen ausgewichen bin. Die Straße windet sich, nur mit einer Leitplanke vom Abgrund getrennt, über dem Wattewolken von der langsam untergehenden Sonne rosarot bemalt werden. Im Radio spielt ‚One moment in time‘, einer meiner absoluten Lieblingshits. One moment in time. So schmerzlich kurz, und doch werde ich mich länger an diesen einen Augenblick erinnern als an viele Stunden, Tage oder gar Wochen davor.

Denke ich mir, während ich in Vilaflor anhalte, dem höchstgelegenen Dorf Teneriffas mit einigen typischen Landhäusern und den auf dem Land üblichen, mit Schnitzereien verzierten Holzbalkonen. Dort verabschiedet sich der Tag endgültig mit Pastelltönen aus Rosa, Orange und Gelb. Der Himmel ist nicht wolkenfrei, doch gerade die Wolken bringen die Farben des Himmels so zum Strahlen, wie es klare Luft niemals schaffen könnte.

Eine Runde Nacktschwimmen im Atlantik

In bin kein FKK-Anhänger, war schon lange nicht mehr an einem richtigen Nacktbadestrand. Und suche auch keinen, als ich am nächsten Morgen von El Médano an der Südküste nach La Tejita aufbreche, wo sich ein langer schwarzer Sandstrand die Küste genau vor dem Südflughafen entlangzieht. Links davon thront die Montaña Roja, der rote Berg. Je länger ich mich dort in der Sonne aale, jeden Strahl aufsauge und noch immer von rosa Wolken unter mir träume, desto mehr betagte, feuerrote und splitternackte Touristen bemerke ich. Erhobenen Hauptes schreiten sie den Strand hinab, manche gehen sogar ins Wasser.

Irgendwann tue ich es ihnen gleich. Bade im Adamskostüm im noch recht milden Atlantik, mitten im Dezember. Während ich dem offenen, in der Sonne funkelnden Ozean entgegenschwimme, summe ich ‚One moment in time‘. Egal, was noch kommt, Teneriffa scheint mir jetzt schon so vielseitig und magisch, wie ich es mir nie vorgestellt hätte. Vielleicht einfach, weil ich immer zur rechten Zeit am rechten Ort bin. Oder weil ich weiß, welche Orte mir guttun, egal, wo ich auch bin.

Rendez-vous mit Ziegen, Wein & Sex

Die Kanaren sind allgemein bekannt für Ziegen und Ziegenkäse. Die größte Produktion ist nicht einmal auf Teneriffa, sondern auf Fuerteventura, aber trotzdem leben auf Teneriffa etwa 55.000 Ziegen, dagegen nur 5000 Kühe. Eine Käserei, die ganz oben dabei ist, ist Montesdeoca nördlich von Adeje an der Westküste. Es ist ein Familienbetrieb, der vor drei Generationen mit Viehzüchtern auf La Palma begann und mittlerweile internationale Anerkennung erhält. 1984 versuchte sich Leoncio Gregorio Montesdeoca, der Großvater der Familie, erstmals in der Kunst der Käseproduktion. Erst Mitte der 90er zog der Betrieb von La Palma nach Teneriffa, wo der Sohn übernahm.  „Besonders wichtig ist die Trennung der Tiere nach Futterbedarf, der zum Beispiel bei Weibchen, die gerade Junge bekommen haben, ganz anders aussieht als bei Weibchen, die erst demnächst gepaart werden“, erklärt Alberto, ein Mitarbeiter, der auch Führungen durch die Käserei mit Kostproben anbietet. Daher werden die Tiere in verschiedenen Ställen gehalten.

Wenn die Euter so prall sind, dass sie an frisch aufgepumpte Fußbälle erinnern, ist Melken angesagt. Die Pumpen werden von Hand angelegt, dann kann es losgehen mit dem allerersten Schritt einer langen Käseproduktion. Mittlerweile hat die Käserei Montesdeoca viele Preise gewonnen, darunter 23 in dem renommierten World Cheese Award, der einmal pro Jahr verliehen wird.

Doch nicht nur Ziegenkäse wird auf Teneriffa großgeschrieben, sondern auch Wein. Zwar haben die Weine der Kanarischen Inseln keine internationale Bedeutung, da es nicht genug Anbauflächen auf den einzelnen Inseln gibt. Doch Einheimische und Besucher haben das Glück, kanarischen Wein verköstigen zu dürfen, dessen Qualität vorzüglich ist. Auf Teneriffa kommen die besten Rotweine aus dem Orotavatal oder Tacoronte im Norden. Weinliebhaber können Weine auch direkt an der Quelle probieren, beispielsweise bei Bodegas Monje.

Diese hat auch etwas ganz Heißes im Programm: Wine & Sex, was groß auf einem Plakat mit einer halbnackten, lasziv auf einem Weinfass ausgestreckten Frau angekündigt wird. Auf die Frage, was genau es damit auf sich habe, wechselt die etwas hektische Bodega-Führerin schnell das Thema. Die Website hingegen stellt Wein und Sex als besonders sinnliche Erfahrungen dar und bietet erotische Wein-Stelldicheins an – mit erotischen Filmeinlagen, Ausstellungen und Kostümen. Muy interesante.

Immer mit der Ruhe

Wie viele Inseln mit mehr als zwei Bergen inmitten eines Ozeans, eignet sich auch Teneriffa hervorragend zum Wandern. Nicht nur im Teide-Nationalpark auf schwindelerregenden Höhenmetern. Wandern kann man auf der Enten-Insel an fast jeder Ecke. An der Küste entlang, durch Wälder, über Hügel, Schluchten rauf und runter oder eben auch im Gebirge. Eine schöne Wanderung führt in der Nähe von Santiago del Teide von der Hauptstraße in Richtung Meer, beginnend mit Blick auf den Teide in weiter Ferne.

Den Wegesrand zieren blühende Kakteen und Wolfsmilch, die entgegen meiner Annahme doch nicht zur Kakteenfamilie gehört. Wer nicht auf eigene Faust wandern möchte, sondern mit Guide, um auch etwas über die Natur und Umgebung zu lernen, wird kaum einen einheimischen Wanderführer treffen, dafür aber umso mehr deutsche oder andere ausländische Guides. „Die Einheimischen wandern überhaupt nicht gern“, weiß der deutsche Arndt Morawe, von seinen spanischen Kumpels einfach Lolo genannt, der bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf Teneriffa lebt. Seit einigen Jahren arbeitet der professionelle Handballspieler als Reiseführer für Wikinger Reisen, ebenso wie Johanna Söhner, die ebenfalls spezielle Gesundheitswanderungen mit sportlichen Übungen an geeigneter Stelle einbaut. Ihre Fröhlichkeit ist so ungekünstelt, wie sie nur ein echt zufriedener Mensch versprühen kann.

Die Einheimischen genießen ihre Natur ohne großen Aufwand: Sie stellen den Picknickkorb ins Auto, fahren an eine geeignete Stelle ‚im Grünen‘, möglichst mit Grilloption. Auch wenn sich dieser grüne Fleck an der Hauptstraße von Santiago del Teide befindet und es gefühlte 12 Grad sind.

Aber eins muss man den Canarios lassen: Sie sind vielleicht keine großen Wanderer, dafür aber hervorragende Autofahrer. Nichts kann sie aus der Ruhe bringen, nicht einmal die Masca-Schlucht. Und sollte in einer besonders fiesen Kurve nichts mehr gehen und der Mietwagenfahrer vor dem großen Bus regelrecht in die Knie gehen, steigt der Busfahrer auch schon mal aus, fährt den Mietwagen selbst an seinem Bus vorbei und wünscht dem albernen Sonntagsfahrer lächelnd eine gute Weiterreise.

„Die Canarios haben immer die Ruhe weg“, erzählt Lolo bei einem einfachen Mittagessen in einem Guachinche – ein typisch kanarisches Lokal, wo vor Ort erzeugte Weine ausgeschenkt und ein paar ortstypische, einfache Gerichte serviert werden. Auf dem Tisch stehen an diesem Tag ‚huevos a la estampida‘, gestampftes Ei, ‚ropa vieja‘, wörtlich alte Klamotten, was früher Essensreste waren, eine Mischung aus Rindfleisch, Kartoffeln und Kichererbsen, sowie ‚chuleta‘, ein ordentliches Stück Kotelett.

 

 

Es ist ein wenig zugig an dem Tisch mit Biergarten-Bänken, doch das scheint die Einheimischen nicht zu stören. „Die stört nicht einmal, wenn sich im Laden eine lange Schlange bildet, weil ein Kunde einen Schwatz mit dem Verkäufer hält“, plaudert Lolo aus dem Nähkästchen. „Einmal stand ich dort über zehn Minuten, und alle hörten geduldig zu, keiner sagte etwas. Die haben sich erst eingemischt, als sie mit der Meinung der beiden Plaudertaschen über eine Fernsehserie nicht einverstanden waren. Dann ging es heiß her und alle fingen an zu diskutieren!“

Überhaupt ist alles auf den Kanaren ein bisschen anders als auf dem spanischen Festland. Die Menschen scheinen gelassener, sprechen aber schneller, Busse heißen nicht ‚bus‘ sondern ‚Gua Gua‘, Zicklein sind nicht ‚cabritos‘ sondern ‚baifos‘ und Deutsche werden gern ‚cabezas quadradas‘ genannt – Quadratköpfe. Aber im Allgemeinen interessiert man sich weniger für diese und andere Quadratköpfe, was schon beim Aufschlagen einer Tageszeitung auf Teneriffa ins Auge fällt: lokale News auf vielen, vielen Seiten. Dann Nachrichten über die anderen kanarischen Inseln. Zuletzt Gran Canaria, der Erzfeind Teneriffas, ein bisschen wie Köln und Düsseldorf. Dann kommt vielleicht das eine oder andere Wort über das spanische Festland. Und irgendwo weit hinten gibt es auch eine kleine Info über den fernen Rest der Welt.

Vom Regen ins Paradies

Es regnet selten auf Teneriffa. Manchmal auch nur einmal im Jahr. Und das natürlich, wenn man selbst dort ist und San Cristóbal de La Laguna erkunden möchte, die erste Stadt der Kanarischen Inseln, die mittlerweile auch zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Doch selbst bei nicht perfektem Wetter bezaubern die koloniale Architektur und unzählige Gebäude mit traumhaften Hinterhöfen, welche die quirlige Stadtführerin Dominga Rodriguez Besuchern liebend gern zeigt. „Wisst ihr, was das wirklich Besondere an La Laguna ist?“, stellt sie ihre Schäfchen auf die Probe. „Die Straßen wurden im 15. Jahrhundert ohne den Schutz von Stadtmauern ganz geradlinig angelegt.“ Dies wird nirgends so deutlich wie an einem Modell der Stadt in der Kirche Santo Domingo. „Noch heute dient dies als Vorlage für Städte in ganz Lateinamerika“, erklärt Dominga stolz. Ich muss an die vielen lateinamerikanischen Städte, die ich besucht habe, denken, und sie hat recht: Jede von ihnen ist in ‚Cuadras‘, Häuserblöcke, aufgeteilt, schön quadratisch, damit Verlaufen fast unmöglich wird. So viel zu „deutschen Quadratköpfen“.

Wer keine Lust hat, im Teneriffa-Urlaub im Regen herumzulaufen, kann ganz einfach Trick 17 anwenden – oder genauer gesagt Trick TF24 oder TF21, denn  das sind die beiden Straßen, die von den Küsten hoch ins Teide Gebirge führen. „Dort oben ist fast immer Sonne“, schwört Lolo. Ob er recht hat? Zum zweiten Mal geht es für mich hoch und höher hinauf in die Berge, durch so dichte Wolken und so prasselnden Regen, dass kaum der Straßenrand erkennbar ist. Ich denke an die Wolken, über denen ich vor wenigen Tagen gefahren bin, selbst auf Wolke sieben. Dies hier ist eine andere Welt. Dann plötzlich, die Hoffnung ist fast verebbt, dringen dünne Sonnenstrahlen durch das Grau, die sich Sekunden später in strahlenden Sonnenschein verwandeln. Unglaublich! Grellblau ist der Himmel, als es an den Roques de García, einer bizarren Felsformation unterhalb des Teide, nach draußen geht. Hier steht der Roque Cinchado, auch Finger Gottes genannt, ein Fels, der ein wenig wie ein Stinkefinger aus dem Boden ragt und eins der Wahreichen Teneriffas ist. Hier war ich noch nicht bei meinem letzten Teide-Besuch. Zwar ist die Temperatur in den letzten Tagen mindestens um zehn Grad gefallen und ein eisiger Wind kratzt an meiner Wange, doch das ist egal.

Ich stehe und starre. In Richtung des Teide, den eine Schleierwolke sachte streift, als wolle sie ihn küssen. Und auf einmal bildet sich mitten aus einer Wolkenschicht hinter dem Gebirge ein halber, schwacher Regenbogen, der zunehmend an Farbe gewinnt, als würde sein Maler den Pinsel immer zuversichtlicher schwingen. Die meisten Besucher verschwinden bei dem brausenden Wind schnell im Café des gegenüber gelegenen Parador, eines Berghotels, doch ich kann mich noch nicht lösen. Laufe den schmalen Kieselsteinweg hinter den Roques de García hinab, bleibe immer wieder stehen, um das Naturschauspiel mit den Augen zu verzehren. Der Regenbogen endet stets mit der Wolke unterhalb des Berges, traut sich nicht rein ins tiefe Blau des Himmels, gönnt sich noch nicht das Allerschönste. Dann, als hätte er mich gehört und an Mut gewonnen, streckt er seinen Bogen höher und höher gen Himmel, bis er einen perfekten halben Kreis vom Fuß des Teide bis zum nächsten Berg geschlagen hat. Ich halte den Atem an. Genieße es, wieder einmal sprachlos sein zu dürfen.

Zum zweiten Mal schafft der Teide es, mir einen dieser ganz besonderen ‚Moments in time‘ zu schenken. Einen Moment, der für mich allein bestellt scheint – den ich bekommen habe, ohne darauf gewartet zu haben, denn das Wunderbarste kommt anscheinend ganz von selbst. Und hätte es nicht schon Alexander von Humboldt im Jahre 1799 verstanden, als er auf dem Weg nach Amerika eine Woche lang Zwischenstation auf Teneriffa machte, hätte ich es wohl ganz ähnlich ausgedrückt: „Ich habe im heißen Erdgürtel Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger ist, reicher in der Entwicklung organischer Formen. Aber nachdem ich die Ufer des Orinoko, die Cordilleren von Peru und die schönen Täler Mexikos durchwandert, muss ich gestehen, nirgends ein so mannigfaches so anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde vor mir gehabt zu haben […]“.

Die Reise wurde unterstützt von Wikinger Reisen mit Unterkunft im Hotel Luz del Mar in Los Silos.

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