Bayreuth – Stadt der Frauen

Mädelswochenende in der Festspielstadt

Bayreuth – da denken die meisten gleich an Wagner und an die Festspiele. Dass Bayreuth in erster Linie aber die Stadt von Powerfrauen ist, das weiß kaum einer. Begonnen hat alles mit einer echten Prinzessin im 18. Jahrhundert, nämlich mit Wilhelmine von Preußen, bald Markgräfin, die Bayreuth maßgeblich prägte und der es zu verdanken ist, dass Wagner später in die Stadt kam. Heute sind es andere, die in Wilhelmines Fußstapfen treten: die Regierungspräsidentin vom Bezirk Oberfranken, die Oberbürgermeisterin, die Festspielleitung, die Leiterin des Festivals junger Künstler – die Liste ist lang. Ein guter Grund, sich eine oder mehrere Freundinnen zu schnappen und nicht nur Wilhelmine kennenzulernen, sondern gleich auch die Frau des Türmers und eine moderne Powerfrau, die Bayreuth in Schmuck verwandelt.

Mit Wilhelmine auf Achse

Ein wenig nackt kommen wir uns schon vor, meine Freundin Sandra und ich, als wir an einem heißen Sommertag in Shorts und Tops neben Markgräfin Wilhelmine im üppigem Mittelalterkleid herstolpern. Mit Hilfe eines weißen Schirmchens versucht sie, ihr mit weißer Perücke bedecktes Haupt und die vornehme Blässe vor Sonne zu schützen. Die lebendige Wilhelmine heißt eigentlich Viktoria Ficht und stemmt die Wilhelmine-Führungen durch Bayreuth mehrmals pro Monat. Bald wird klar: Diese Wilhelmine aus bestem Hause hatte ganz schön viel gemeinsam mit vielen x-beliebigen Frauen von heute. Nun gut, sie wurde in bessere Verhältnisse hineingeboren als die meisten von uns – 1709 kam sie als Prinzessin zur Welt, als Tochter von Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. von Preußen und seiner aus dem Hause Hannover stammenden Frau Sophie. Besonders nahe fühlte sie sich ihrem drei Jahre jüngeren Bruder und Kronprinz Friedrich, der als Friedrich der Große in die Geschichte einging.

„Wilhelmine hatte eine schwierige Kindheit, weil ihre Mutter unheimlich ehrgeizig war und sie nach England verheiraten wollte. Damals hatte das Hannoveraner Haus gute Aussichten, bald den englischen Thron zu übernehmen, und dann hätte Wilhelmine Königin von England werden können.“ Doch wie es auch viele Mädels von heute kennen, wird aus den großen Plänen der Mama oft nichts. Im preußischen Königshaus gab es viel Zoff deswegen, und schließlich musste sich Frau Mutter mit dem Dritt- oder Viertbesten für ihre älteste Tochter zufriedengeben: Wilhelmine wurde 1731 nach Bayreuth an Markgraf Friedrich verheiratet, wurde aus dem noblen Berlin in die Provinz gekarrt, in eine Stadt, deren Name ‚von den Bayern gerodet‘ bedeutet, denn ursprünglich stand dort Urwald. Unsereins muss sich zwar in der Regel nicht mehr mit arrangierten Hochzeiten herumschlagen, aber wie oft passiert es, dass sich Frau in einer Stadt und mit einem Job wiederfindet, die weit entfernt von Plan A sind?

Wilhelmine bekam also den neuen Markgräfinnen-Job aufgedrückt, und sie fand ihn mehr als bescheiden. „Später, in ihren Memoiren, beschrieb sie ihre Ankunft in Bayreuth und hatte viel zu lästern. Die Höflinge hatten ihrer Meinung nach Läuse und die Krätze, die Frauen Schwalbennester auf dem Kopf, trugen altertümliche Kleidung und allesamt waren sie Vogelscheuchen“, erklärt unsere Wilhelmine, deren Kleid aus Vorhangsstoff besteht, wie sie zugibt. Der Bayreuther Start der jungen Prinzessin erinnert mich an fast jede neue Stadt, in der ich mich aufgrund eines neuen Jobs wiederfand und mich zunächst einmal so fremd fühlte wie ein in der Wüste ausgesetzter Fisch. Doch Wilhelmine bekam die Kurve, wie ich auch, und stürzte sich in die Kreativität: „Wilhelmine hatte das Glück, dass ihr Friedrich – zu dem sie eine überraschend liebevolle Beziehung entwickelte – viel Freiraum ließ und sie komponieren, musizieren, malen und schreiben konnte.“ Ihr Schaffen brachte ihr sogar die Bewunderung von Zeitgenosse Voltaire ein.

Als wir gerade vor dem Neuen Schloss ankommen, gesellt sich besagter Gatte zu uns – ebenfalls mit weißer Perücke, Mantel, Weste und Kniehose. Der moderne Markgraf, der eigentlich Thomas Kees heißt, entführt Besucher genau wie Kollegin Viktoria gerne zurück ins 18. Jahrhundert, am liebsten zur wenige Kilometer entfernten Eremitage, die Friedrich seiner Liebsten 1735 zu ihrem Geburtstag schenkte. Den Namen Eremitage erhielt die große Parkanlage mit Wasserspielen, zu der unter anderem auch das Alte Schloss und die Orangerie gehören, weil das Markgrafenehepaar und der Hofstaat dort Eremiten spielen durften: Das Gelände bot ihnen eine Auszeit von Glanz und Gloria, sie konnten sich wie Einsiedler im Wald und in die verstreut liegenden Gebäude zurückziehen und erst abends zum Abendmahl wieder im Schloss zusammenkommen.

Doch Humor hatten die Markgrafen durchaus auch: „Sie ließen gleich am Eingang die innere Grotte bauen, einen Raum mit Glasschlacken und Muscheln an den Wänden und über 200 Wasserdüsen im Boden. Dann konnte die Hofgesellschaft jedes Mal zuschauen, wie ankommende Gäste klatschnass wurden.“ Die unfreiwillige Dusche bleibt heutigen Gästen größtenteils erspart, dafür werden sie aber im Restaurant mit dem besten Dessert verwöhnt, das ich seit Langem probiert habe: mit Wilhelmine-Torte aus Schokolade und Rum.

Wilhelmines Oper

Dass es in erster Linie die imposante Oper war, die Richard Wagner ein gutes Jahrhundert später nach Bayreuth brachte, ist kein Geheimnis. Dass der Bau dieses Opernhauses aber ebenfalls auf Wilhelmines Kappe ging, wissen wenige. 1748 wurde das noch nicht ganz fertige Gebäude mit Platz für 520 Zuschauer zur Hochzeit von Wilhelmines und Friedrichs einziger Tochter Friederike eingeweiht. Angeblich war es Wilhelmines absolutes Herzensprojekt, und bis zu ihrem Tod 1758 sorgte sie für immer neue Vorstellungen.

Wir stehen in dem von Giuseppe und Carlo Galli da Bibiena im italienischen Spätbarock-Stil ausgestatteten Logentheater und staunen nicht schlecht: Jahrhunderte voller Arien und Co. hängen in der feuchten Luft, in dem uralten Holz, das immer eine Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent braucht. Im Gegensatz zu den meisten Besuchern mag das Holz die feuchte Wärme, und das Opernhaus darf deswegen auch nur in der warmen Jahreszeit von Mai bis Oktober bespielt werden. Der erste Eindruck, dass die Säulen aus Marmor bestehen, täuscht – alle Einzelheiten wurden allein aus Holz gefertigt. Und das ist nicht das Einzige, was einem die Oper vorgaukelt: Erscheint das Bühnenbild auf den ersten Blick eine aufwendige 3D-Konstruktion, ist alles bei genauerem Hinsehen nur Illusions- und Effektmalerei. Ein bisschen wie das nach außen prunkvolle Leben der Wilhelmine. Von der Decke schauen Apollo und die neun Musen auf die Musikliebhaber hinab.

Dass sich Napoleon 1812 bei seinem Marsch durch Bayreuth mit dem Bühnenvorhang aus dem Staub machte, ist nicht weiter tragisch – stattdessen hängt dort nun ein ausnahmsweise willkommener eiserner Vorhang, der bei einem Brand auf der Bühne diese schnell vom Innenraum trennen und damit die wertvolle Holzkonstruktion schützen kann. Sogar die UNESCO erkannte 2012 deren Wert an und ernannte das Opernhaus zum Welterbe.

Unterm normalen Volk

Das Mädelswochenende ist allerdings nicht komplett, wenn man sich nur mit Markgrafen umgibt und nicht auch mal mit dem einfachen Fußvolk auf Tour geht – zum Beispiel mit der Frau des Türmers, Christiane Münch, die den besten Über- und Durchblick hat. Gelebt hat sie von 1867 bis 1942 und wird heute von Sylvia Lauterbach präsentiert. Im Gegensatz zur Wilhelmine ist sie mit einem einfachen schwarzen Rock, grauer Weste und flachem Hut bekleidet. Während ihrer Tour durch die City schafft sie es ruckzuck, auch Nordlichtern ein wenig Bayreuther Mundart beizubringen. „Wischkästla“, die es zur damaligen Zeit natürlich noch nicht gegeben habe, möge sie gar nicht, erklärt sie, als ich mit dem Handy ein paar Fotos schieße, und auch „Automobilen“ sieht sie äußerst skeptisch hinterher: „Bis 1902 durfte ein Auto niemals schneller fahren als ein Fuhrwerk in mäßigem Trab.“

Christiane war die Ehefrau vom Türmer Johann, dessen Job es war, vom Turm der Kirche Zur Heiligen Dreifaltigkeit – wo er in zwei Zimmern mit Frau, zwei Söhnen, Schildkröten, Kaninchen, Affen, Dolen und Tauben lebte – Ausschau zu halten, ob es irgendwo Feuer gab und dann schnell Alarm zu schlagen. „Allerdings reichte das Geld nicht aus, und Johann musste zusätzlich Schuhe reparieren“, gesteht seine Frau, damals einfach ‚Türmerin‘ genannt. „Wir haben ein Seil mit Brett daran am Turm befestigt, da konnten die Leute die zu reparierenden Schuhe draufstellen und der Johann hat sie sich hochgezogen.“ Dadurch habe man sich das mühsame Hoch- und Runterlaufen der 152 Stufen erspart. Auch schwere Einkäufe hätten sie auf diese Art in die Wohnung befördert. Einmal sei allerdings ein Malheur passiert: „Es war Sommer 1911 und die Zwetschgen waren reif, da wollte der Johann unbedingt, dass ich ihm einen Zwetschgenkuchen backe.“ Damals habe nicht jeder Haushalt einen Ofen besessen, also bereitete man die Kuchen soweit vor und brachte sie dann zum Bäcker zum Backen. „Der Bäcker brachte den fertigen Kuchen zurück und stellte ihn aufs Brett. Aber als der Johann ihn hochzog, kam ein Windstoß und warf das Brett um.“ Neue Zwetschgen habe man sich nicht leisten können, doch die Buben auf der Straße hätten sich gefreut.

Die Türmerin deutet auf einen Brunnen vor der Kirche. „Das ist der Obeliskenbrunnen, aber bei uns hieß er Dünnbierbrunnen, wisst ihr warum?“ Tun wir nicht. „Der Johann heuerte manchmal ein paar Buben an, dass sie ihm Bier aus der Wirtschaft hochbrachten. Irgendwann merkte er, dass das Bier komisch schmeckte.“ Wir ahnen schon, wie die Geschichte endet: Die frechen Jungs tranken die Hälfte des Bieres selbst und füllten das Glas mit Brunnenwasser auf. Doch nicht nur der Obeliskenbrunnen braute damals ‚Bier‘, auch jeder Bäcker hatte Braurecht. „Viele Bäcker taten sich zusammen und brauten gemeinsam.“ Spezialist des Geschäfts war Georg Bauer, dessen Brauerei Bauernwärtla auch heute noch steht.

„Der machte einen echten Göttertrank, der dem Johann gar nicht guttat, also habe ich ihm verboten, ihn zu trinken.“ Anderen, die nicht auf einem Turm lebten, ging es nicht anders, aber die kippten ihre Hinterlassenschaften der Nacht morgens einfach aus dem Fenster. „Das wurde den Leuten bald zu bunt, und schon 1708 führte man in Bayreuth die Stadtreinigung ein.“ Die wurde aus den Einnahmen der in die Stadt kommenden Marktleute und anderer Besucher finanziert, denn damals musste man Stadtgeld bezahlen, um Bayreuth überhaupt betreten zu dürfen, beispielsweise jeden Mittwoch und Samstag zum Markttag.

152 Stufen später stehen auch Sandra und ich hoch über Bayreuth, schauen, wo die Türmerin mit ihrer Familie lange Jahre lebte. Sehen weit über die roten Dächer der Stadt und ihre Häuser aus ockerfarbenem Sandstein. Lauschen dem Klatsch und Tratsch aus vergangener Zeit, denn der Türmerin entging nichts.

Und wie bestellt – und weil zufällig gerade Bürgerfest ist – gesellt sich eine kleine Blaskapelle zu uns und spielt von der Turmspitze ihre Lieder, die weit hinaus übers Stadtzentrum und die Festivalbesucher ziehen. Stünde Jean Paul neben uns, würde er wahrscheinlich einmal mehr seine Worte über die Stadt, in der er seinen Lebensabend verbrachte, wiederholen: „Du liebes Bayreuth, auf einem so schön gearbeiteten, so grün angestrichenen Präsentierteller von Gegend einem dargeboten – man sollte sich einbohren in dich, um nimmer heraus zu können.“

Schmuck & Spa

Wer am ersten Juliwochenende nach Bayreuth kommt, kann doppelt was erleben – auf dem Bayreuther Bürgerfest, das sich über sämtliche Straßen und Gassen der Altstadt verteilt. Dort gibt es nicht nur typisches Broodworschtlaabla mit Senft zu futtern – Bratwurstbrötchen mit Senf – sondern auch viel Kunsthandwerk der Region auf einen Blick.

Ohne das Fest und ihren Stand wären wir vielleicht niemals auf eine Frau von heute aufmerksam geworden, die Bayreuth zwar nicht in ein kulturelles Juwel verwandelt hat wie Wilhelmine und nicht so viel Klatsch und Tratsch auf Lager hat wie die Türmerin, dafür aber Bayreuth in Form von Schmuck verewigt: Julia Förster-Oetter, die ihr Atelier im Stadtteil St. Georgen führt.

Die gelernte Goldschmiedin und selbstständige Designhandwerkerin hat das Element Glas für sich neu entdeckt und schmelzt Gold, Silber und Platin, um neuen Schmuck zu kreieren, am liebsten Glasperlen für Ringe und Ketten. Für ihre Kreativität gewann sie mehrmals Design-Preise, unter anderem für eine innovative Geschäftsidee. Doch nicht nur das: Für alle, denen Bayreuth so gut gefällt, dass sie die Stadt in Form von Schmuck bei sich tragen möchten, gibt es Julias spezielle Wagnerschmuck-Kollektion – Ringe mit Wahrzeichen Bayreuths in 925er Silber. „Jedes Jahr vor den Festspielen bringe ich ein neues Stück heraus“, erzählt sie. Dann setzt sie sich an den Brenner und führt vor, wie innerhalb von Minuten eine neue Glasperle entsteht. Wir könnten uns kein schöneres Erinnerungsstück an ein gelungenes Mädelswochenende vorstellen als ein von Julia selbstgemachtes Schmuckstück.

Aber das Allerbeste kommt zum Schluss – Zeit, um alle Geschichtslektionen sacken zu lassen, und zwar in der Lohengrin Therme bei der Ermitage. Während ich eine Wohlfühlmassage genieße, lasse ich die Frauen, die ich kennenlernen durfte, noch einmal in meinem Kopf Revue passieren. Mit all ihren Stärken und Kämpfen und ihrem Willen, das Beste aus jeder Situation herauszukitzeln. Auf dass Bayreuth noch lange in Frauenhand bleiben möge!

 

Diese Reise wurde organisiert vom Tourismusverband Bayreuth: https://www.bayreuth-tourismus.de/ mit Übernachtung im Hotel Rheingold.

Für ein Mädelswochenende gibt es viele Aktivitäten, unter denen man wählen kann: https://maedels.bayreuth-lifestyle.de/