Zyperns Süden – Zerrüttete Schönheit am Ende Europas

Für die meisten Urlauber ist sie eine Mittelmeerinsel wie viele andere. Zypern. Zumindest der beliebte und oft überlaufene Süden. Er verspricht Sonne satt, Hitze, blaues Meer und Essen, das irgendwo zwischen griechisch und touristisch britisch rangiert. Ich schaue mir die Sache selbst mal an, höre genau hin – und werde immer wieder daran erinnert, dass ich im letzten geteilten Land Europas bin. Eine Teilung, die sich ein bisschen hinter dem Strandzauber verstecken möchte, es aber doch nicht so ganz schafft.

Der Bus braust mit mindestens 80 durch das durstige Land. Einzig der aufwirbelnde Staub bewegt sich in der flimmernden Augusthitze, während Touristen hinter mir etwas vom „heißesten Tag des Jahres“ raunen. Ich bin auf dem Weg von Larnaca in Richtung Agia Napa, bis der Fahrer „Nissi Beach“ ruft und Träume von Abkühlung in azurblauem Wasser heraufbeschwört. Ich folge der Verlockung, steige am Strand über braungebrannte Körper englisch- oder russischsprachiger Menschen hinweg und lasse mich ins türkise Wasser fallen. Es erinnert an die Badewanne daheim, nur der Schaum fehlt. Die Sonne knallt schon um elf Uhr gnadenlos und ich bilde mir bald ein, das Wasser dampfen zu sehen.

Bevor die Halluzinationen zunehmen, flüchte ich zurück auf die Straße, wo sich Pubs und Touristenrestaurants aneinanderreihen und eine Partyszene à la Ballermann wartet. Mir bleibt nichts anderes übrig, als in den nächstbesten Laden zu stürzen, der fahrbare Untersätze vermietet. Dass nur noch ein Drahtesel herumsteht, der wirkt, als hätte er mindestens drei Mal an der Rallye Dakar teilgenommen, ist mir wurscht. Der Ladenbesitzer, ein alter Mann mit freiem Oberkörper, sieht mich interessiert an und deutet mit dem Kinn auf das Wrack. „Heißester Tag des Jahres heute!“ Für fünf Euro wird das Rad mein.

Ich radle los, als mir wild hupend ein Auto entgegenkommt. Ach ja, auf Zypern herrscht ja Linksverkehr! Beim Wechseln der Straßenseite knallt der Sattel runter, ich fliege fast über den Lenker. Aber Probleme sind da, um sie zu lösen. Bald werden das Rad und ich Freunde. In meinem Reiseführer steht etwas über Cape Greco, wilde Klippen und Landschaften fernab der Nachtclubs und des Remmidemmis von Agia Napa – dort will ich hin. Bald wird die Straße schmaler, bis sich nur noch ein Staubweg die Küste entlangzieht.

Jede kleine und nahezu menschenleere Bucht lädt zum Sprung ins Wasser ein, dann geht es weiter. Auf einem Feld wuselt ein Bauer zwischen dicken Honigmelonen umher, daneben steht ein wild wuchernder Baum, der zwei Bänken etwas Schatten spendet. Erschöpft werfe ich mich auf eine und sehe auf zu Tausenden von bunten Schleifen, die den Baum schmücken, außerdem Zettel mit Liebesbekundungen. Wie ich später erfahre, wird jeweils der größte, schönste Baum in einer ansonsten trostlosen Gegend von den Einwohnern geschmückt und damit geehrt.

Als ich den Nationalpark von Cape Greco erreiche, habe ich fast kein Wasser mehr, doch das versprochene Panorama über Meer und Landschaft treibt mich bis zum Gipfel. Ist es nicht immer das Schönste auf Reisen, die eigenen Grenzen auszutesten? Und eine Nahtod-Erfahrung durch Durst hatte ich noch nie.

Kurz davor, Fata Morganas von sprudelnden Quellen zu sehen, halte ich keine Stunde später am nächstbesten Mezehaus. Meze sind kleine Gerichte, die mit Fisch oder Fleisch serviert werden, meistens für zwei Personen. Der Kellner reibt sich bei meinem Anblick die Hände und ich wette, er erhöht die Getränkepreise auf Anhieb um 50 Prozent. Ich greife abwechselnd zu einer großen Flasche Wasser und einer Cola und bekomme sofort Nachschub, sobald sie leer sind. „Du bist mutig, das ist der heißeste Tag des Jahres“, kann auch er sich nicht verkneifen, während ich einen Dorfsalat mit Feta und Oliven verschlinge.

„Vorm Norden habe ich Angst!“

Ich bin mit Alexis verabredet, einem Südzyprioten, den ich über travbuddy.com kennengelernt habe. Er ist zypriotisch-pünktlich, genau zwanzig Minuten zu spät, und wir verbringen den Tag bei einer Bootstour von Agia Napa nach Cape Greco mit dem weißbärtigen Captain Marco. Die gleiche Strecke habe ich am Vortag abgeradelt, doch vom Boot aus lässt sich das azurblaue Wasser sehr viel schweißfreier genießen.

Bald verstehe ich, warum Alexis, ein dünner Mann mit roten Haaren und Spitzbärtchen, so gar nicht griechisch aussieht: Seine Mutter ist Russin, sein Vater griechischer Zypriot. „Ich fühle mich nirgends zugehörig“, gesteht er mir. „Hier in Zypern bezeichnen mich die Leute als Russen, in Russland als Ausländer.“ Als ich ihn nach Nordzypern ausfrage und ob er Freunde dort habe, winkt er ab. „In der Schule wurde nur Propaganda gegen die Türken gemacht, und ich habe Angst, nach Norden zu fahren. Wenn ich irgendwas falsch mache, können die mich einsperren.“ Laut Alexis sei das größte Problem der Glaube – griechische Zyprioten sind griechisch orthodox, türkische Zyprioten muslimisch. „Wie soll man da einen Nenner finden?“

Am Abend suchen Alexis und ich uns ein nettes Restaurant nahe der Innenstadt von Larnaca, in der das Fischmeze besonders gut sein soll. Alexis bestellt Meze für nur eine Person, und doch ist unser Tisch bald mit allerlei gebratenem, gebackenem, mariniertem und sonstigem Fisch überladen, dazu gibt es verschiedene Dips und Brot – das Ganze für nur 19 Euro. „Die Zyprioten essen immer zu viel, das ist unsere Kultur.“ Jedenfalls brauche ich mich jetzt nicht mehr um die bei der Radtour verlorengegangenen Kalorien sorgen.

„We ran like hell!“

Bevor ich nach Paphos an der Westseite Zyperns aufbreche, nehme ich mir einen privaten Tourguide, der mich nach Lefkara, einem Dorf in den Bergen, bringt. Es ist bekannt für seine Spitze sowie für die Silberproduktion. Mikael, mein Fahrer, plaudert drauflos. „Ich würde so gern mit dir nach Famagusta fahren. Ich war dort 1974 als Zwanzigjähriger als Soldat, als die Türken einfielen. Wir haben die Schiffe kommen sehen und sind gerannt!“ Seine Augen werden feucht. „We ran like hell!“ Seine weiteren Geschichten handeln von Gefangenschaft in der Türkei, wie er schließlich nach Großbritannien kam und dort ein Leben als Seemann begann. Es fällt schwer, mir den dickbäuchigen Mittsechziger mit Hosenträgern als großen Abenteurer vorzustellen, und doch schwärmt er von seinem Leben auf See, seiner Zeit in Brasilien, Tokyo und an anderen exotischen Orten.

In Lefkara angekommen, winkt mich eine Frau mit einem lachenden, faltigen Gesicht in ihren Laden, den allerlei Spitzendeckchen zieren, während Vitrinen Schätze in feinstem Silber bereithalten. Ich möchte nichts kaufen, doch die warmen braunen Augen der Frau lassen mich die Meinung ändern. „Schau mal“, deutet sie auf ein großes, in Italienisch beschriebenes Poster. „In den 80er Jahren haben ich und meine Freundinnen die Decke für die Einweihung des Mailänder Domaltars gestickt – es war jahrelange Arbeit!“ Ich verlasse den Laden mit einem Spitzendeckchen und einem Silberarmband und bekomme eine Box Turkish delight gleich dazu.

Mikael bringt mich bis nach Limassol, von wo ich den Bus nach Paphos nehme. Er hält am Four Seasons Hotel, um mir zu zeigen, wo die reichen Russen, die auf Zypern Urlaub machen, für 200 Euro aufwärts pro Nacht unterkommen. Die bombastische Empfangshalle verschlägt mir den Atem, ebenso die riesige Gartenanlage mit mehreren Pools und eigenem Strand.

Danach geht es vorbei an der brandneu gebauten Limassol Marina, an der die Schönen und Reichen Villen mit Bootanlegeplatz kaufen können. Laut Mikael sei die Marina schon ausverkauft, weil die Anlegeplätze viel billiger sein sollen als in Monte Carlo. Bilderbuch-Zypern: Check.

Troodos – Südzyperns Busch

Von Paphos aus unternehme ich eine sogenannte Jeep Safari mit Ecotour in die bei Einheimischen im Sommer überaus beliebten Troodos Berge. Statt Löwen und anderen wilden Tieren gibt es jedoch nur den einzigen höher gelegenen Ort, der im Hochsommer Abkühlung verspricht. An diesem Morgen ist es erstmals leicht bewölkt. „In Nicosia hat es in der Nacht sogar geregnet“, verkündet Andreas, der gutaussehende, bärtige Tourguide, der im weißen Jeep hoch in die Berge kurvt. Regen sei im August nahezu ein Unding. „Das sind die Türken schuld!“ Nach Meinung der Südzyprioten seien an allem Schlechten die Türken schuld. „Wir haben auch viele sehr nervige türkische Mücken.“ Je höher es in die Berge geht, desto weiter lassen wir die karge Küstenlandschaft zurück und werden von saftig grünen Feldern und Weinstöcken empfangen. „Aus den Troodos Bergen bekommen wir in Südzypern unser Wasser“, erklärt Andreas. „Letzten Winter hat es viel geregnet, also haben wir viele Reserven, ansonsten wird es manchmal knapp.“ Er überlegt, dann fügt er leiser hinzu „Die im Norden kriegen ihr Wasser aus der Türkei.“ Dabei verzieht er das Gesicht, als wäre türkisches Wasser von Schimmel befallen.

Plötzlich steigt Andreas auf die Bremse und biegt zu einem winzigen Kloster ab, das mitten in der Landschaft steht, Panagia Tou Sinti, mit erstaunlich gut erhaltenen Fresken im Inneren. „Normalerweise würdet ihr Frauen ganz hinten sitzen“, ermahnt Andreas mich und zwei weitere Frauen, „und Shorts und Hüte dürftet ihr auch nicht tragen.“

Danach halten wir Ausschau nach dem einheimischen Troodos Mufflon, das jedoch wegen seiner Scheu vor Menschen und Geräuschen äußerst selten zu sichten ist. Weiter geht es durch urwaldartige Natur, wobei Andreas keine Schutterstraße auslässt, um uns ordentlich durchzuschütteln.

Ein „Schießen verboten“ Schild weist eindeutige Schusslöcher auf. Andreas schüttelt den Kopf. Jagen sei nur zu festgelegten Zeiten und auf wenige Tiere begrenzt, doch seine Landsleute lebten rücksichtslos nach Lust und Laune ihre Hobbys aus. Immer wieder hält er an, zupft an verschiedenen Pflanzen und reicht sie herum, bis unsere Sinne von den verschiedenen Düften schwirren. Besonders oft finden sich Fenchel und Salbei. Zum Mittagessen gibt es in einem Dorfgasthaus mit Reis und Hackfleisch gefüllte Weinblätter. „Die Dörfler sind sehr ehrlich“, kommentiert Andreas die Vielzahl an skeptischen Mienen. „Sie lachen und winken, wenn sie dich mögen, aber wenn sie dich nicht mögen, ignorieren sie dich.“ Wenn Andreas einen Bekannten oder Freund erkennt, hupt er, was das Zeug hält, besonders zur Mittagszeit. Stören tut er ohnehin nicht viele, denn in den meisten Bergdörfern wohnen nur noch 20 oder 30 Personen, alle anderen, vor allem die jungen Leute, seien zum Arbeiten in die Städte abgewandert.

Die Akamas-Halbinsel, Liebe auf den ersten Blick

Nach dem Dschungelerlebnis kommt mir das touristische, von englischen Bars und Pubs dominierte Paphos vor wie ein Zirkus nach einem Yoga-Retreat. Ich will zurück in die Natur, fort von den betrunkenen Briten und den meist muffelig wirkenden Russen.

Überall hängen Prospekte, die Safaris auf die abgelegene Akamas-Halbinsel anpreisen. Ich möchte meine nächste Safari dann doch lieber in Afrika machen. Ein fahrbarer Untersatz muss her, aber Fotos vom steinigen, unwirtlichen Gelände der Halbinsel lassen mich ahnen, dass es dieses Mal kein ausgedienter Drahtesel tut. Für stolze 50 Euro bekomme ich ein Quad. Ob ich mich damit auskenne, will der Verleiher wissen. Ehrlich gesagt bin ich noch nicht einmal Scooter gefahren, aber das sage ich nicht. Wie schwer kann das schon sein? Nach genau einer Minute bin ich on the road – dieses Mal ausnahmsweise auf der richtigen, der linken, Seite. Das Ding ist schwerer zu lenken, als ich gedacht habe. Beim ersten Bremsmanöver muss ein Baustellenwarnschild sein Leben lassen, doch dann geht es mit 60 hoch in Richtung Akamas.

Die Halbinsel ist mit einem normalen Fahrzeug nicht mehr befahrbar. Die einzigen brauchbaren Verkehrsschilder sind hier die, welche auf den nächsten Kilometern Ziegen ankündigen. Die löchrigen, staubigen Wege treiben mir Angstschweiß auf die Stirn, doch das Quad hält durch und ich habe mein Ziel klar vor Augen: Lara Beach.

Ordentlich durchgeschüttelt strande ich gefühlte 1000 Nerven später am schönsten, wildesten Strand Südzyperns, auf dem sich Naturschützer den Meeresschildkröten widmen. Den gesamten Strand zieren kleine Käfige, unter denen Schildkröteneier geborgen liegen, damit sich Vögel und andere Wildtiere nicht darüber hermachen können, bevor die Jungtiere schlüpfen. Die Wellen rollen wie am Atlantik an den weiten, hellsandigen Strand und ich spüre zum ersten Mal auf Zypern, dass ich wirklich angekommen bin.

Wie es die Hitze so will, treibt mich der Durst auf der Rückfahrt mal wieder ins nächstbeste Restaurant, das am Nachmittag geöffnet scheint. Die an einem Tisch zusammensitzenden, plaudernden Kellner sehen mich neugierig an. So beginnt meine eintägige Freundschaft mit Restaurantbesitzer Charalambos, genannt Harry, und seinem Team. Für den Abend laden sie mich zum Essen ein. Als Vorspeise gibt es einen großen Salat, als Hauptspeise griechischen Stifado, Rindfleischeintopf, dazu die immer in Südzypern servierte Jacket potato. „Für die englischen Urlauber“, erklärt Harry und bringt mir sowohl ein Keo Bier als auch ein Glas Rotwein und zum Nachtisch Obst mit Eis. Dabei setzt er sich zu mir und plaudert von Zypern.

Wie viele im Tourismus beschäftigte Südzyprioten arbeitet Harry zehn Monate im Jahr, von Februar bis November. Auch er berichtet von 1974, einem Jahr, das in der Erinnerung jedes Zyprioten verankert ist. „In manchen Dörfern leben heute wieder Griechen und Türken nebeneinander“, erzählt er. „Eigentlich haben die Menschen keine Probleme miteinander. Das Problem ist die Politik.“ Überraschen tut mich das nicht. Doch die Frage, die ich mir von Anfang an gestellt habe, schwirrt noch dringlicher durch meinen Kopf: Was erwartet mich in Nordzypern? Was werden mir die Menschen dort erzählen? Sind dort an allem, was schiefläuft, die Griechen schuld? Ich soll es ganz bald erfahren.

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