Das Top-End – da, wo Australien endet

Von Weite und Feuer

Wenn man sich eine Landkarte vorknöpft, sieht man es: Australiens Top-End rund um Darwin ist näher an Indonesien und Papua Neuguinea als an Sydney. Selbst für Australier ist dort, wo das Land auf die Timorsee stößt, der Popo der Welt. Aber ein äußerst attraktiver. Geprägt von tropischem Klima mit einer Trocken- und einer Regenzeit, von Nationalparks, die als lebende kulturelle Landschaften gelten. Heimat von Krokodilen, Vögeln und Aborigines. Ewige Weite begleitet mich von Darwin zum Kakadu zum Nitmiluk zum Litchfield Nationalpark. Und Feuer, viel Feuer.

Tropen und Ureinwohner

Viereinhalb Stunden dauert der Flug von Sydney nach Darwin, einmal diagonal übers Land. Viereinhalb Stunden, und man ist noch immer in Australien. Von Hamburg wäre man da schon auf den Kanaren. Da ich der Natur wegen am Ende des Northern Territory bin, nutze ich Darwin nur als Sprungbrett in die Wildnis. Hole meinen SUV ab und picknicke schnell an der Waterfront, die wie eine Vergnügungs- und Schlemmerinsel zwischen Stadt und Meer klemmt. Dort reihen sich Restaurants, Cafés und Bars aneinander, alle so schick herausgeputzt, als wären sie erst gestern fertig geworden. Ich sitze im Gras und esse eine Stulle. Eine von vielen kommenden, denn der Großeinkauf im Supermarkt soll die Tage in der Wildnis überdauern. Australien ist teuer, und je weiter man aus den großen Städten rausfährt, desto schlimmer wird es, bin ich gewarnt worden.

Mein Körper versucht, mit 30 Grad am Ende der Top-End-Regenzeit Ende April klarzukommen, versus angenehme 20 Grad am Herbstanfang, die noch in Sydney herrschten. Ich beobachte, versuche zu begreifen, dass dies tatsächlich dasselbe Land ist wie Sydney, Melbourne, Adelaide und das Outback rund um die Flinders Ranges, die ich zuvor besucht habe. An keinem der anderen Orte habe ich Menschen gesehen, die mich vom Aussehen her an recht dunkelhäutige Inder erinnern. Die in Parks und auf Straßen in Grüppchen abhängen und in einer fremden Sprache sprechen. Aborigines, Australiens Ureinwohner.

Ich bereue, geflogen zu sein statt die gut 3.000 Kilometer von Adelaide nach Darwin durchs Herz Australiens zu fahren. 3.000 Kilometer, die aus ein paar Sehenswürdigkeiten bestehen, wie Alice Springs und dem Touristenmagnet Uluru, aber größtenteils aus roter Wüste, die zum Top-End hin immer heißer wird. Doch Zeit und Kosten haben mich zum Fliegen gezwungen. Die Aborigines reden laut durcheinander, wirken fehl am Platz zwischen den funktionalen Bauten und Gläserfronten der Büros. Ich würde sie gern fragen, ob sie sich wohl fühlen in der City, und ob sie in modernen Miet- oder Eigentumswohnungen wohnen. Tue es aber nicht, um nicht zu stören. Und weil mir der Mut fehlt.

Sonnenuntergang mit Krokodilen

Bevor es losgeht in die großen Nationalparks, mache ich einen Abstecher zum Corroboree Billabong, der Teil des Mary River Feuchtgebiets ist. Mein Ziel: den ersten Sonnuntergang am Top-End gemeinsam mit Krokodilen genießen. Das Gebiet rühmt sich nämlich mit der größten Konzentration an Salzwasserkrokodilen der Welt. Die auch die gefährlichsten sind und Menschen angreifen, im Gegensatz zu den lieben Süßwasserkrokodilen, wie Guide Evan von Corroboree Billabong Wetland Cruises erklärt. Dumm ist, dass sich die Salzwasserkrokodile auch in Süßwasser tummeln, sodass man auch dort nicht einfach mit den freundlichen Süßwasserkrokodilen baden kann.

„In Australien gibt es die größten Krokodile der Welt, die bis zu sechs Meter lang werden“, weiß Evan. „Wenn ihr genau hinschaut, seht ihr, dass sie beim Schwimmen kaum Kreise auf dem Wasser verursachen, nur ein paar Blasen.“ Das erste Reptil zieht ungerührt am Boot vorbei. Ein lautloser, fast bewegungsloser Tanz, bei dem nur der Schwanz leicht wackelt. Ein Artgenosse lässt sich am Ufer die Sonne auf den Panzer scheinen, hält uns mit seinen großen gelben Augen im Blick. Es könnte ja Fast Food ins Wasser fallen. So richtig freundlich sehen die Viecher mit ihren spitzen Beißern wahrlich nicht aus, Kuschelfaktor gleich null. Und doch – Respekt, ja gar Bewunderung, verdienen sie. „Krokodile können bis zu einem Jahr nichts fressen und genau regulieren, wo ihr Körper durchblutet wird. Sie können ihren Herzschlag bis auf zwei Schläge pro Minute herunterfahren“, erklärt Evan. Sie seien die resistentesten Tiere, die er kenne. „Einmal habe ich ein Krokodil gesehen, dem fehlte der halbe Kiefer. Aber es hat jahrelang überlebt, bis es an Altersschwäche gestorben ist.“ Manchmal lässt mich der dicke Krokodilpanzer an Elefanten denken, mit denen die Schnappis auch das Erinnerungsvermögen gemein haben: „Ein Krokodil erinnert sich genau an Abläufe“, so Evan. „Wenn ihr hier jeden Tag am Nachmittag schwimmen geht, merkt sich das Krokodil das und wird eines Tages kommen, um zuzuschnappen.“ Schwimmen? Vielleicht morgen.

Das Boot gleitet übers Wasser, das so still ist wie eine Nacht im Outback. Beide Ufer sind saftig grün bewachsen, auf dem Wasser schwimmen mancherorts Seerosenblätter. Doch die Krokodile sind nicht die Einzigen, die hier wohnen, auch wenn sie Besucher weitaus mehr begeistern als die harmlos erscheinenden Piepmatze, die herumzwitschern oder sich auf Ästen zur Schau stellen. Zum Beispiel der Jabiru, dessen Schnabel den Panzer einer Schildkröte brechen und der sogar Krokodile verletzten kann, weswegen die Reptilien echt Schiss vor ihm haben. Dabei sieht er aus wie ein Storch, der Kopf und Hals in grüne Tinte gesteckt hat. Auch Kormorane modeln für die Bootstouristen mit weit geöffneten Flügeln, als würde am Abend die Miss-Kormoran-Krone verliehen. „Nur auf diese Weise können sie ihre Flügel trocknen“, liefert Evan die Erklärung für das Verhalten, das also gar nichts mit Exhibitionismus zu tun hat.

Unter den vielen Vögeln, auf die Evan zeigt, kann ich mich noch an Glockenreiher und weißbrüstige Adler erinnern. Letztere vor allem, weil mir die Weibchen imponieren: „Sie lassen das Männchen ein Nest neu bauen, wenn es nicht gut genug ist.“ Und dann gibt es noch die Spaltfußgänse, die von den Aborigines in der Trockenzeit, wenn sie am Billabong trinken, gejagt werden. Dabei kennen die Aborigines am Top-End nicht nur zwei oder vier Jahreszeiten, sondern sechs: Yegge, kühles Wetter, von Mai bis Juni. Banggerreng, Erntezeit, im April. Gudjewg, Monsunzeit, von Dezember bis März. Wurrgeng, die frühe Trockenzeit, von Juni bis August. Gurrung, die heiße Trockenzeit, von August bis Oktober. Und Gunumeleng, die Vor-Monsunzeit, von Oktober bis Dezember.

„Der Busch ist für die Aborigines wie ein großer Supermarkt. Sie wissen genau, in welcher der sechs Jahreszeiten man welches Tier gut jagen kann oder was die Natur hergibt.“ Wenn Libellen auftauchten, wüsste man zum Beispiel, dass die Trockenzeit beginnt. Sehr wichtig sei für die Ureinwohner auch der sogenannte Papierbaum gewesen, der aus verschiedenen Papierebenen bestehe. Darauf habe man unter anderem Fisch gekocht oder in größere Lagen auch Leichen eingewickelt.

Als sich die Sonne bereit macht, hinterm Feuchtgebiet abzutauchen, wird es still auf dem Boot. Sogar die Vögel schweigen. Alle starren ehrfürchtig auf den roten Ball am Himmel, als hätten sie nie zuvor eine Sonne gesehen. Ich auch. Egal, wie oft sie sich vor mir mit einer Linie am Horizont vereint, sei es überm Meer, hinter Wolkenkratzern oder eben hinter einem Feuchtgebiet, jedes Mal ist wie das erste Mal. Die Kulisse ist immer ein wenig anders, und wenn es sich nur um einen Touch in den Farbnuancen handelt. 50 shades of orange. Die schönsten Sonnenuntergänge sind für mich die, wo als Hintergrundmusik Stille läuft und mich dieses intensive Gefühl des Moments packt. Wie jetzt.

Nationalpark zum Ersten – UNESCO-Welterbe Kakadu  

Eigentlich ist Ende April nicht die beste Zeit, den Kakadu-Nationalpark zu besuchen. Die Regenzeit tröpfelt sich langsam aus, doch oft sind Schlammstraßen noch unter Wasser, viele Attraktionen wie die bekannten Jim Jim Wasserfälle sind oft abgeschnitten. Aber wie immer mache ich das Beste aus dem, was eben geht. Der Kakadu NP trägt viele Ehrentitel. Er gilt als einer der schönsten Nationalparks Australiens. Mit fast 20.000 Quadratkilometern und knapp 200 Kilometern zwischen Nord und Süd und 100 zwischen Ost und West auch als einer der größten. Als UNESCO-Weltnaturerbe wegen seiner Biodiversität, die 68 Säugetiere, 120 Reptilien, 26 Froscharten, 290 Vogelarten, 300 Fischarten, 2.000 Pflanzen und mehr als 10.000 Insektenarten umfasst. Und als UNESCO-Weltkulturerbe, weil er unter anderem die weltweit meisten Felsmalereien beheimatet. Malereien jener Aborigines, die viele Generationen später vor den 5-Sterne-Restaurants am Darwin Waterfront herumlungern. Es waren und sind die Bininj- und Mungguy-Aborigines, denen das Land seit zehntausenden von Jahren gehört. Und die als Ranger Besucher an die Hand nehmen und ihnen ihr Land zeigen. Leider noch nicht Ende April und Anfang Mai, weswegen ich mich allein auf den Weg mache.

Der Park ist unterteilt in sieben Regionen, und je nachdem, welchen Teil man erkunden will, lohnt es sich, dort eine Unterkunft zu suchen, um nicht erstmal hundert Kilometer fahren zu müssen. Ich bin in der Region Jabiru mit der gleichnamigen, einzig größeren Stadt im Ort, wo sich Krokodil und Vogel gute Nacht sagen. „Die Straße nach Ubirr ist teils noch überflutet, aber mit einem High Clearance Fahrzeug kannst du durchfahren“, sagt man mir am Bowali Besucherzentrum. Ist mein Toyota SUV nun ein High Clearance Fahrzeug? Ich lasse es darauf ankommen. Bleibe erstmal vor der Riesenpfütze stehen, schaue zu, wie ein Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommt und sich langsam einen Weg durchs Wasser bahnt. Geht doch. Allradantrieb an und los. In der Mitte der Pfütze befindet sich ein Schlagloch, das Auto bekommt Schlagseite. Luftanhalten, bloß nicht vom Gas gehen. Alles wird gut.

Ubirr ist einer der Orte im Kakadu NP, wo es in der Hauptsaison wie am Strand von Malle im Juli wimmelt. Aber Anfang Mai erinnert er an einen Kinosaal eine Stunde vor Filmbeginn. Ein Schild am Eingang beschreibt Ubirr als „ungeschriebene Bibliothek“. Er ist ein felsiger Ort, aber nicht irgendwelcher Felsen, sondern mit Aborigines-Zeichnungen verzierter Felsen, die auf einem Kilometer eine Geschichte erzählen. Für Archäologen die Geschichte sich wandelnder künstlerischer Stile der Ureinwohner. Und für die Ureinwohner die Geschichte ihrer sich wandelnden Umwelt und Gesellschaft über viele Tausende Jahre hinweg. Die meisten Zeichnungen, vor allem die Darstellung von Menschen, erinnern an Strichmännchen und nennen sich treffend Röntgenstil. Außer Menschen sind Beutel- und andere Tiere sowie Fische abgebildet, und es geht um die Jagd, unter anderem auf Büffel.

Besonders wichtig ist auch die ‚rainbow serpent‘, Regenbogenschlange, die vielen Aborigines in Australien bekannt ist. Die Regenbogenschlange war ein mächtiger Vorfahr, der durchs Land reiste und wohl schnell genervt war, unter anderem vom Weinen eines Kindes. Fühlte er sich zu sehr provoziert, konnte er ein ganzes Dorf auslöschen.

Nach der Bildergalerie geht es hoch hinauf auf ein Felsplateau, wo ich beginne, die Dimensionen des Kakadu NPs zu begreifen. Nur von wenigen Bäumen und Termitenhügeln durchsetzt laufen irisch grüne Felder auf den Horizont zu. Weite. Mein Synonym für Australien, obwohl man sie im Gegensatz zum Sydney Opernhaus und Kängurus nicht greifen oder leicht auf eine Postkarte klatschen kann.

Am Top-End geht für mich die Sonne nicht nur mit Krokodilen unter, sie geht auch mit Krokodilen auf. Der Yellow River Water Cruise südlich von Jabiru beginnt pünktlich mit der über den Horizont lugenden Sonne, die den Himmel um sich herum mit Pink- und Orangetönen kidnappt. Eine Frau mittleren Alters, deren Vorfahren schon im Kakadu-Land zu Hause waren, ist Guide auf der Bootstour. „2017/18 war unsere schlimmste Regenzeit seit 2006“, erklärt sie, warum so viele Wege im Nationalpark noch immer unpassierbar sind. Immer wieder treiben Baumstämme auf dem Wasser vorbei, die sich erst auf den zweiten Blick als Krokodile entpuppen. Die Anmut, mit der sie kurz auftauchen, über Wasser blitzen und mit ein paar Schwanzbewegungen wieder in der Tiefe verschwinden, erinnert mich an Wale. Obwohl die Tiere ansonsten figurtechnisch nicht viele Gemeinsamkeiten haben.

Ich erkenne einige Vögel vom Wetland Cruise wieder. Die Flügeltrockner und die weißbrüstigen Adler sind wieder mit von der Partie. Natur und Fluss verschmelzen durch die Spiegelung auf dem auch hier babypoglatten Wasser. Wüsste ich nicht, dass das hier echt ist, würde ich es für Malerei halten. Kein Wunder, dass die Aborigines so viel zeichneten. In dieser Umgebung muss man die Muse schon mit Füßen treten, dass sie einen nicht doch knutscht. Bald fährt unser Guide das Boot bis an den Rand eines Lotusblattfeldes auf dem Wasser. Seit Langem meine Lieblingsblätter, lassen sie doch alles vollkommen unbeeindruckt an sich abperlen.

Ein Vogel mit roter Kappe spaziert wie Jesus übers Wasser, gefolgt von einem aufgeregten Küken, das sich schnell unterm Flügel von Mama versteckt, als es die vielen Kameralinsen auf sich spürt. Ich muss lachen, als ich das Bild von dem nun vierfüßigen Muttertier später anschaue.

So schön kann nur Natur sein. Und so unberechenbar. Ein paar Stunden später laufe ich zum Yurmikmik Lookout weiter südlich, einem der wenigen schon zugänglichen Pfade in diesem Mai. Fast auf dem Gipfel des Hügels verirre ich mich, lande im Dickicht. Kämpfe mich wieder daraus hervor, bis sich die gesamte Ebene vor meinen Augen entfaltet. Spröder und baumiger als noch am Tag zuvor in Ubirr. Bergiger. Aber nicht minder malerisch. Auf dem Rückweg begegnen mir ein paar Ranger. „Sag mal, hast du hier zufällig drei Büffel gesehen?“ Na klar, und direkt aufgegessen! Ich fühle mich veräppelt, doch die Rangers meinen es ernst. „Wir haben heute Morgen einen Anruf bekommen, dass hier Büffel unterwegs sein sollen.“ So schnell war ich schon lange nicht mehr zurück am Parkplatz.

Meine Kakadu-Erkundung endet in Nourlangie, bei einem Rundweg, der in seinem Reichtum an Aboriginal-Kunst Ubirr ähnelt. „Geschichtsbuch aus Stein“ fasst ein Schild die Felsenmalereien zusammen. Die Anbangbang Galerie ist Zuhause des Blitz-Mannes, ‚lightning man‘ Namarrgon, eine spirituelle Erscheinung aus der Traumzeit – Mythologie – der Ureinwohner, der auf einem Fels gemeinsam mit Namandjok abgebildet ist, einem bösen Mann. Aborigines bestehen noch heute darauf, dass der Böse niemals allein abgebildet oder fotografiert wird, sondern nur zusammen mit dem Rest des Bildes. Auch tanzende Männer und Frauen wurden kreuz und quer auf einen Stein gezeichnet, scheinen die Sause ihres Lebens zu feiern.

Die Sonne macht sich gerade bereit für den nächsten Teil der Welt, als ich auf dem Lookout ankomme. Außer mir ist kein Mensch mehr unterwegs. Der Mond steht hoch am Himmel, ich bin allein mit der Weite und der Kunst. Denke an die Ureinwohner Australiens, die auf Felsen malten, um Erlebnisse festzuhalten. So wie ich darüber schreibe. Und ich bin froh, dass ich Wörter statt Bildern habe, denn die Weite der Landschaft vor mir lässt sich schon kaum in Worte verpacken, geschweige denn in eine Strichmännchen-Zeichnung.

Nationalpark zum Zweiten – Nitmiluk von oben und unten

Früh am nächsten Morgen geht es von Jabiru weiter ins gut 300 Kilometer entfernte Katherine, eine Fahrt von dreieinhalb Stunden. Ein Katzensprung für Australier, fast ein Todessprung für ein suizidgefährdetes Wallaby, das auf mein Auto zuhält. Die Bremse quietscht, das Auto schert nach links aus, kommt auf dem Schotter des Seitenstreifens zum Stehen. Und das Wallaby muss auf den nächsten Wagen warten, um einen erneuten Versuch zu starten. So unwahrscheinlich es in diesem Teil der Welt auch scheint, in einen Unfall mit anderen Autos verwickelt zu werden, so unberechenbar sind morgens und abends die Wallabys, die unbedingt dann über die Straße hoppen müssen, wenn alle 20 Minuten mal jemand vorbeikommt.

Runter nach Katherine geht es auf der Zielgeraden ins Herz Australien, nur knapp 1.200 Kilometer später wäre ich schon in Alice Springs. Das ‚White line fever‘ packt mich, ich möchte weiter und weiter fahren durch die Weite. Doch das Drängen muss warten, denn ich habe ein Date. Mit Heli Spirit unweit des Nitmiluk Nationalparks hinter Katherine, mit nicht einmal 3.000 Quadratkilometern verschwindend klein im Vergleich zum Kakadu NP, doch nicht minder faszinierend. Highlight des Parks: der Katherine Gorge. Bevor ich die Wanderstiefel anziehe, will ich mir das Ganze erst mal vom Hubschrauber aus anschauen.

Pilot Sam ist erst seit der aktuellen Saison dabei, nachdem er vor anderthalb Jahren seinen Hubschrauberflugschein machte. „Das Schönste für mich war es, endlich selbst die Kontrolle in der Hand zu haben“, erzählt er. Und dass Hubschrauberfliegen viel spannender sei als ein Flugzeug.

Ich sitze neben Sam und der offenen Tür, muss höllisch aufpassen, dass Handy und Kamera nicht in den Felswäldern des Nationalparks verschwinden. Über 13 Schluchten hinweg geht es bis zum berühmten Katherine Gorge. Der dunkelblaue Katherine River schlängelt sich durch die bis zu 70 Meter hohen  Felsklippen – das Ergebnis eines Kampfes von Milliarden von Jahren gegen das Gestein, bis der Weg geebnet war. Wie so oft, wenn etwas vollbracht ist, ist keine Spur des Kampfes mehr zu sehen. In der Sprache der Jawoyn-Aborigines, die hier leben, bedeutet Nitmiluk „Ort der Zikaden-Traumpfade“. Noch heute haben die Schluchten eine spirituelle Bedeutung für die Ureinwohner, auch dort gibt es an mancher Stelle Felsenmalereien. Von oben sehe ich nur Weite. Wieder mal. Menschenlosigkeit. Gerne würde ich dort unten Kajak fahren, doch nach der langen Regenzeit sind auch noch Krokodile unterwegs.

Vom Visitor Centre gehen alle Wanderwege in diesem Teil des Parks ab, ich laufe in Richtung des Butterfly Gorge. Die Schlucht der Schmetterlinge. Woher sie ihren Namen bekommt, ist klar, als ich durch viel Gestrüpp nach unten gekraxelt bin und von Hunderten Schmetterlingen empfangen werde, die mich in Richtung Fluss begleiten wie eine Polizei-Eskorte. Ich kann mir keinen schöneren Picknickplatz vorstellen als das Flussufer, tief unten in den roten Felsen, wo wieder mal die Stille zum besten Freund wird.

Zurück will ich über Jedda’s Rock und das Southern Rockhole, doch auf einmal ist es vorbei mit den leicht erkennbaren Steinwegen. Es wird steil und statt Wegen gibt es nur noch unebene Felsen, die sich in die Sohlen der Wanderschuhe graben. Grüne Pfeile sollen die Wegrichtung anzeigen, sind jedoch teils überwachsen. Ich fühle mich wie auf Schnitzeljagd, laufe mehrmals falsch. Die Hoffnung, zum Sonnenuntergang am Aussichtspunkt am Seven Mile Creek anzukommen, schwindet. Ich bin kein Mensch, der leicht aufgibt, doch dann gibt es Momente, da ist es okay, das Ziel aus den Augen zu lassen und den Plan den Gegebenheiten anzupassen. Statt zurück zu hetzen, verbringe ich mehr Zeit an Pat’s Lookout, der – wie ich einen Tag später feststelle – um einiges schöner ist als der bekannte Lookout überm Visitor Center. Nicht nur deshalb, weil dort niemand ist. Wie immer an Orten, die schwer zu erreichen sind. Orte, wo das Warten auf den Abend oder den nächsten Morgen oder den nächsten Urlaub aufhört, weil in diesem Augenblick einfach alles perfekt ist.

Durchs Buschfeuer

Eine Szene wie aus einem Thriller: Ich fahre über den Highway, weit und breit kein anderes Fahrzeug in Sicht, und der Rauch vor mir wird immer dichter. Weil sich zu beiden Seiten Feuer durch den Busch frisst. Doch es ist kein Thriller, auch kein Albtraum. Auf dem Weg von Katherine zum Litchfield Nationalpark brennt die Landschaft, und das nicht zufällig. Wie ich mittlerweile erfahren habe, ist Feuer ein absolut „brennendes Thema“ an Australiens Top-End. Die Leute legen die Feuer selbst. Man muss es sich vorstellen wie im Leben: Manchmal ist es nötig, dass etwas zu Grunde geht, damit wieder etwas Neues wachsen kann.

Und so steht ein Großteil der Landschaft in der Trockenzeit von Mai bis Oktober immer mal wieder in Flammen. Hier hat das Feuer nichts mit Zerstörung zu tun, mit der es allgemeinhin assoziiert wird. Nur durch das Feuer wird die Biodiversität in der tropischen Savanne erhalten. Selbst wenn die Leute es Feuer nicht selbst legen, wird es eines Tages von allein beginnen, spätestens, wenn Gewitter als Vorboten der Regenzeit aufkommen und Blitze den trockenen Busch treffen. Schon vor Zehntausenden von Jahren verstanden die Eingeborenen, dass dieses Feuer letzten Endes nötig war. So verbrennen jedes Jahr etwa 50% der Savanne, und bis die nächste Regenzeit endet, ist kaum noch eine Spur vom Feuer zu sehen. Denn die meisten Pflanzen im Top-End erholen sich schnell von der Feuerbrunst, und auch die Tiere sind schlau genug, ihr zu entfliehen. Besonders häufig sind Feuer zu Beginn der Trockenzeit, weil die Landschaft dann noch feucht genug ist, um ein unkontrolliertes Weiterbrennen zu vermeiden. Bei leichtem Feuer überleben sogar die Bäume, während zu starke Flammen sie zerstören. Junge Bäume dürfen mindestens fünf Jahre lang keinem Feuer ausgesetzt sein, um hoch genug zu wachsen. Und dann sind sie bereit für alles. Nun, fast alles, denn wenn ein Baum zu hoch wächst, wird er leicht von Termiten ausgehöhlt und ist dadurch wieder besonders anfällig für die Flammen. Also ist alles wie immer: der Stärkste überlebt.

Bald ist der Himmel so rauchvernebelt, dass die Sonne nur noch wie ein roter Feuerball durchblinzelt. Und während Kilometer um Kilometer dahinfliegt, spielt in meinem Kopf ein Krimi in diesem schauerlichen Ambiente an. Denn was wäre nun logischer, als am Straßenrand eine halb verkohlte Leiche zu finden?

Nationalpark zum Dritten – Litchfield, der Spielplatz der Stadtbewohner

An sonnigen Wochenenden packt man in Darwin gern Picknickdecke und eine Menge Proviant ins Auto und fährt 128 Kilometer nach Süden zum Litchfield NP. Entsprechend unstill ist es dort am Samstag und Sonntag im Gegensatz zu allen anderen Orten, die ich am Top-End besucht habe, doch ansonsten kann man es dort ganz gut aushalten. Litchfield ist synonym mit Wasserfällen. Florence Falls, Wangi Falls, Tolmer Falls und wie sie alle heißen, zum Teil auch badetauglich. Litchfield wird ein würdiger Abschiedstag vom Top-End. Schon das angenehm kühle Wasser der Florence Falls spült die Müdigkeit einer vielwöchigen Nonstop-Reise durch Australien weg. Oder mag ich doch lieber das Buley Rockhole, wo man gleich in verschiedenen Pools planschen kann? Schwer zu sagen.

Fest steht: Die meisten Wanderwege sind hier kurz, das Wasser so klar, dass man an mancher Stelle den Kopf hineinstecken und trinken möchte. Nur in den Wangi Falls bleibt man besser schön vom Wasser weg, denn dort könnte nach der Regenzeit noch manches Krokodil auf Frischfutter lauern. Doch abgesehen von den Krokodilen hat Litchfield wenig gemein mit den anderen beiden Nationalparks. Hier überziehen Waldlandschaften das Steinplateau, es gibt Eukalyptusbäume und Monsun-Regenwälder in den Schluchten.

Ich dümpele im seichten Wasser des Buley Rockholes, werde langsam schrumpelig. Es gäbe noch so viel mehr zu sehen hier im Top-End. Doch es ist okay. Ich bin satt, und wie beim Essen stellt sich auch das Völlegefühl vom Reisen erst langsam ein. Es wird eine Weile dauern, bis ich nach all der Weite wieder die Nähe in Europa ertragen kann. Die Nähe zu anderen Menschen, zum nächsten Haus, der nächsten Stadt, dem nächsten Land. Weite kann süchtig machen. Weil nie etwas den Blick oder die Gedanken bricht. Ich speichere sie tief in mir ab, die Weite, in der Hoffnung, dass sie immer ein kleiner Puffer bei zu viel Nähe bleiben wird.

 

Ein paar Tipps zum Schluss:

Günstige Übernachtung in Darwin, bevor die Tour losgeht:

https://www.yha.com.au/hostels/nt/darwin/

https://www.valueinn.com.au/

Unterkünfte unterwegs:

https://www.auroraresorts.com.au/aurora_Kakadu_Lodge/ (Jabiru)

https://www.pinetreemotel.com.au/ (Katherine)

Günstige Mietwagenbuchung über:

https://www.fti.de/

Touren:

http://www.wetlandcruises.com.au/

http://www.kakadunationalparkaustralia.com/Cooinda_Gagudju_Lodge_Yellow_Water_Cruise.htm

https://www.helispirit.com.au/all-tours/katherine-gorge-helicopter-tours/

 

Diese Reise wurde unterstützt von Tourism Australia.

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